Elitenwandel

Thesen *

Wiedervereinigung erfordert Elitenintegration

  1. Auch während der Teilung 1949–1990 waren Ost- und Westdeutschland durch Familienbande und Freundschaften eng verbunden. Es gab Elemente eines gemeinsamen Kommunikations- und Identifikationsraumes. Zudem gab es einen grundsätzlichen Elitenkonsens: „Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen.“ Die Funktionseliten von DDR und BRD waren darüber hinaus kompatibel, da es Strukturähnlichkeiten und informelle Kontakte auf allen Ebenen, insbesondere unter den Sekundäreliten, gab.
  2. Die Vereinigung vollzog sich zwischen zwei demokratischen Staaten, nachdem die DDR durch die Interdependenz von Bevölkerungsprotesten und -abwanderung, Rückzug der alten Eliten und Etablierung neuer Transitionseliten transformiert wurde. Aus diesen Transitionseliten, die häufig aus der zweiten und mehr noch aus der dritten Reihe der DDR-Eliten nachrückten und dabei oft den Elitensektor (Politik, Wirtschaft, Wissenschaft) wechselten, rekrutieren sich bis heute die ostdeutschen politischen Eliten (z. B. Angela Merkel oder Joachim Gauck).
  3. Die Frage nach der Wiedervereinigung wurde wesentlich durch die westdeutschen Eliten auf die politische Agenda gesetzt und machte innere Reformversuche in der DDR schnell obsolet. Die Integration von ost- und westdeutschen Eliten war elementarer und konstitutiver Bestandteil des Wiedervereinigungsprozesses nach 1990 und wurde durch den Institutionentransfer von West- nach Ostdeutschland erleichtert.
  4. Dabei erwiesen sich die föderalen Strukturen als besonders hilfreich, um den politischen Eliten ein geschütztes Handlungsfeld zu bieten und um die potentielle Bedeutung Ostdeutschlands als Identifikationsraum durch interne Differenzierung zu vermindern.
    Für eine angestrebte koreanische Wiedervereinigung lassen sich aus unseren Erkenntnissen folgende Schlüsse ziehen.
  5. Die Vereinigung Koreas kann gelingen, sofern Ansatzpunkte für eine Integration der Eliten Nordkoreas vorhanden sind oder entwickelt werden können.
  6. Dabei spielen die dortigen Sekundär- und Funktionseliten eine zentrale Rolle, die auch deshalb einbezogen werden sollten, um nicht durch übermäßigen Elitenimport ein Gefühl von Fremdbestimmung unter der nordkoreanischen Bevölkerung zu induzieren, das zu separatistischen oder nostalgischen Tendenzen politisiert werden kann.
  7. Voraussetzung für diesen Einbezug sind funktionale, strukturelle oder ideologische Differenzierungsprozesse, um eine (partielle) Anschlussfähigkeit der nordkoreanischen Eliten zu erreichen.

Genese der Erkenntnisse im Sonderforschungsbereich 580 *

Die oben stehenden Thesen gehen auf folgende Forschungsprojekte innerhalb des Sonderforschungsbereiches 580 zurück:

  • DDR-Führungsgruppen (Teilprojekt A1)
  • Wirtschaftseliten (Teilprojekt A2)
  • Parlamentarische Eliten (Teilprojekt A3)
  • Lokale politisch-administrative Eliten (Teilprojekt A4)
  • Deutungseliten (Teilprojekt A5)