Geschichte der deutschen Transformationsforschung

Die Transitionsphase (1989/90) *

Die westdeutsche DDR-Forschung hatte das Ende der DDR nicht vorausgesehen und ostdeutsche Gesellschaftswissenschaftler waren 1989 ideologisch diskreditiert. Deshalb wurden die Transitionsphase (November 1989 bis Oktober 1990) und der Beitritt der DDR gemäß Art. 23 des Grundgesetzes (alte Fassung) am 3. Oktober 1990 kaum sozialwissenschaftlich begleitet. Stattdessen empfahl der Wissenschaftsrat sogar, alle sozial- und wirtschaftswissenschaftlichen Institute der DDR zu schließen. An ihrer Stelle wurde 1991 neben dem heutigen IWH (Institut für Wirtschaftsforschung Halle) die KSPW (Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern) gegründet.

Die KSPW (1991 – 1996) *

Die Kommission für die Erforschung des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesländern e. V. war ein Forum für Transformationsforschung, das von den Bundesministerien für Forschung und Technologie (BMFT) sowie für Arbeit und Sozialordnung (BMA) finanziert wurde. Am 7. Oktober 1991 wurde die KSPW in Halle an der Saale ins Vereinsregister eingetragen. Ihre eigentliche Arbeit begann jedoch erst im Dezember 1991. Bis zu ihrem vorzeitigen Ende am 30. Juni 1996 wurden sechs Berichtsbände, ca. 60 themenspezifische Begleitbände sowie zahlreiche Expertisen und Zeitschriftenbeiträge veröffentlicht.

Die KSPW sollte anwendungsorientierte sozialwissenschaftliche Forschungsprojekte fördern, den Umbruchsprozess begleiten und den wissenschaftlichen Nachwuchs sowie die Neugestaltung der ostdeutschen Sozialwissenschaften unterstützen. Die Praxisorientierung der KSPW zeigte sich insbesondere in der Entwicklung von Handlungsempfehlungen und Expertisen auf empirischer wie sozialtheoretischer Basis für verschiedene Bundes- und Landesministerien.

Trotzdem wurde die KSPW sehr abrupt beendet, als nach innen- und finanzpolitischen Auseinandersetzungen ihre Finanzierung bereits ein halbes Jahr früher auslief als geplant (im Juni statt im Dezember 1996). Es scheint, dass die letzte Bundesregierung unter Helmut Kohl (1994 – 1998) ihre Aufbauleistung keiner sozialkritischen Analysen aussetzen wollte. Auch die Wissenschaft reagierte eher verhalten auf die Arbeit der KSPW. Es kam zu ersten Sättigungseffekten in der Transformationsforschung.

Das ZSH (1995 ff.) *

Das Zentrum für Sozialforschung Halle e. V. (ZSH) wurde 1995 von Burkart Lutz in Halle (Saale) an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als Reaktion auf die Abwicklung der KSPW gegründet. Es setzte die Transformationsforschung der KSPW fort, nahm zunächst aber vor allem die Arbeitsmarktforschung in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) in den Blick.

Heute bearbeitet ein Team von etwa 20 Sozialwissenschaftlerinnen und Sozialwissenschaftlern wechselnde Forschungsprojekte, in denen Grundlagenforschung und praxisbezogene Anwendung miteinander verbunden werden. Analysen des ZSH gehen in wissenschaftliche Fachdiskussionen ein, dienen aber auch dem Wissenstransfer für Unternehmen und Politik.

Das ZSH untergliedert sich in drei Forschungsbereiche: Arbeitsmarkt (PD Dr. Holle Grünert), Arbeits- und Sozialrecht (Prof. Dr. Wolfhard Kohte) sowie Demokratie und Partizipation (Prof. Dr. Everhard Holtmann). Der Bereich Arbeitsmarkt erforscht insbesondere die Folgen des demografischen Wandels für den Arbeitsmarkt und das System beruflicher Ausbildung. Der Bereich Arbeits- und Sozialrecht analysiert Auswirkungen des Arbeits- und Sozialrechts auf den Arbeitsmarkt, Fragen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes sowie der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Bereich Demokratie und Partizipation widmet sich Problemlagen politischer Teilhabe und erforscht deren Kontextbedingungen, wobei regionale und interregionale Aspekte im Vordergrund stehen.

Der SFB 580 (2001 – 2012) *

Der Sonderforschungsbereich (SFB) 580 „Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch: Diskontinuität, Tradition, Strukturbildung“ wurde am 1. Juli 2001 an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg eingerichtet und am 30. Juni 2012 abgeschlossen (Best/Holtmann 2012). Der SFB 580 wies eine hohe inhaltliche aber auch personelle Kontinuität mit der KSPW und dem ZSH auf.

Der SFB 580 befasste sich mit den Langzeitfolgen des sozialen Wandels in Ostdeutschland und anderen ehemals sozialistischen Gesellschaften. In drei Forschungsbereichen – Eliten, Arbeitsmarkt und sozialer Sektor – mit insgesamt 17 Teilprojekten erforschten Soziologen, Politologen, Psychologen, Juristen, Historiker sowie Wirtschafts- und Gesundheitswissenschaftler Herausforderungen in Wirtschaft, Politik und Sozialwesen, die durch den Systemumbruch entstanden waren.

Der SFB 580 beschreibt diesen Wandel nicht als “nachholende Modernisierung”, sondern als Entwicklung eigenständiger Lösungen für die Herausforderungen von Vereinigungsprozessen und des weltweiten Wandels. Die Arbeit des SFB 580 hatte ebenfalls nicht nur theoretische Bedeutung, sondern trug auch praktisch zur Lösung sozialer und politischer Probleme bei.

Das DFG-Transferprojekt T03 (2013 – 2015) *

Das DFG-Transferprojekt T03 „Wissenstransfer als interkulturelle Translation: Erarbeitung modellhafter Praxen transformationsvorbereitender Aktivitäten in Korea“ ging im Januar 2013 aus dem SFB 580 hervor. Bis Ende Dezember 2015 sollen in enger Zusammenarbeit mit dem Institut für Koreastudien der Freien Universität Berlin sowie dem Ministerium für Wiedervereinigung die bisherigen Erkenntnisse der deutschen Transformationsforschung und insbesondere die Befunde des SFB 580 nach Südkorea übertragen werden. Das Projekt T03 gehört dabei zu den ersten von der DFG geförderten sozialwissenschaftlichen Transferprojekten.