Thesen *
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik sind notwendig, aber haben langfristige Folgen!
- Für den ostdeutschen Arbeitsmarkt stellt die Wiedervereinigung eine Langzeit-Herausforderung dar, weil nicht nur die unmittelbaren Folgen der Transformation und des wirtschaftlichen Strukturwandels bewältigt werden mussten, sondern immer noch langfristige Auswirkungen auf Betriebe, Personalstrukturen und Arbeitskräfte zu verarbeiten sind.
- Nach der Vereinigung 1990 sowie der Einführung der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit der alten Bundesrepublik wurde die ostdeutsche Wirtschaft unmittelbar mit den Härten des Weltmarktes konfrontiert. Der Vereinigungsschock und die mit der Währungsunion ungeschützt zu Tage tretenden Schwächen der DDR-Wirtschaft führten binnen kurzer Zeit zu einem Rückgang der Beschäftigung um etwa 40 Prozent und zur Entstehung von Massenarbeitslosigkeit. Dazu kam ein schneller wirtschaftlicher Strukturwandel, in dessen Verlauf die Beschäftigung im Baugewerbe und im Dienstleistungsbereich stark zunahm, im verarbeitenden Gewerbe und in der Land- und Forstwirtschaft dagegen schrumpfte. Die damit verbundenen massiven Verschiebungen in den Qualifikationsanforderungen sowie der Beschäftigungsabbau machten Investitionen in Bildung und sozialpolitische Maßnahmen in sehr großen Dimensionen notwendig. Diese Politik war insofern erfolgreich, als damit die starke Abwanderung in den Westen begrenzt und für viele Ostdeutsche neue Beschäftigungsperspektiven in der Heimat eröffnet werden konnten. Jedoch hatten einige dieser Maßnahmen kurz- und langfristig auch negative Folgen (3 und 4).
- Die Phase der grundlegenden Transformation der ostdeutschen Wirtschaft, während der viele neue Jobs geschaffen wurden, dauerte nur wenige Jahre. Anschließend kam es zu einer weitgehenden Schließung betrieblicher Personalstrukturen. Somit schafften viele der Beschäftigten, die in den ersten Jahren noch in ihren Unternehmen weiter arbeiten konnten, später kaum noch den Einstieg in eine neue Erwerbstätigkeit. Dagegen waren die Erstentlassenen oft diejenigen, die in den neuen Strukturen Jobs fanden und dort länger – häufig bis heute – verblieben. In der Situation schnellen Umbaus erwiesen sich arbeitsmarktpolitische Maßnahmen (wie Kurzarbeit Null, ABM) nicht selten als Falle, da sie Betroffene davon abhielten, das kurze Zeitfenster relativ offener Strukturen und damit neuer Chancen zu nutzen. Schon etwa 1992 schloss sich dieses Zeitfenster wieder.
- Eine weitere Maßnahme um den Arbeitsplatzabbau der Transformationsjahre sozialpolitisch abzufedern war die „Altersentlastung“, die es ermöglichte, dass Beschäftigte ab 55 Jahren in vorzeitigen Ruhestand gehen konnten. Die schrumpfenden Betriebe machten flächendeckend von dieser Möglichkeit Gebrauch. Aus den Betrieben verschwanden ganze Alterskohorten. In den Folgejahren, nachdem die Altersgrenze wieder angehoben wurde, sank somit der Ersatzbedarf rapide ab, da es nur noch wenige reguläre Übertritte aus Beschäftigung in Altersrente gab. Die Folge waren oft altershomogene Personalstrukturen, die kaum im Austausch mit dem externen Arbeits- und Ausbildungsmarkt standen. Die langanhaltende Kombination geschlossener betrieblicher Beschäftigungssysteme und eines Überschusses an Fachkräften auf dem Arbeitsmarkt führte zu Routinen und Praktiken, die sich 20 Jahre später als ausgesprochen dysfunktional herausstellen. Zu diesen zählen niedrige Löhne als Standortfaktor und geringe Tarifbindung, fehlende Erfahrungen in der Personalarbeit, insbesondere bei der Nutzung des externen Arbeitsmarktes und von betrieblicher Berufsausbildung, sowie die Zunahme der Zahl prekärer Jobs. Die notwendigen Veränderungen durch Wiederkehren des betrieblichen Generationenaustauschs nach mehr als 20 Jahren machen erhebliche Lernanstrengungen aller beteiligten Akteure erforderlich.
- Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass bei der Transformation des ostdeutschen Arbeitsmarktes mit Hilfe arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Instrumente in einer Situation hoher Arbeitslosigkeit Härten wesentlich gemildert und große Erfolge bei der Anpassung von Qualifikationen erzielt wurden. Jedoch gab es auch Maßnahmen, die in der Umbruchsituation zwar angemessen waren, langfristig jedoch dazu beitrugen, dass sich viele Arbeitsmarktteilnehmer/-innen – sowohl Betriebe als auch Arbeitskräfte – nicht oder nur langsam auf neue Bedingungen einstellen konnten.
Genese der Erkenntnisse im Sonderforschungsbereich 580 *
Die oben stehenden Thesen gehen auf folgende Forschungsprojekte innerhalb des Sonderforschungsbereiches 580 zurück: